„Echt jetzt“? Ganz kurz halte ich es für einen dieser typischen Christoph-Scherze, als ich an einem der dunklen Abende in Rauma mit meinem Studienfreund in Deutschland telefoniere. „Wie wäre es, wenn wir Menschen in der Sauna porträtieren?“ Genau das hat Christoph gerade gesagt. Dass Christoph Busse schon immer einen Sinn für abgefahrene Fotoprojekte hatte, wusste ich – ob Amazonen in Albanien, Schaffnerinnen in ganz Europa oder seine wundervollen Meisterfinger-Werke, bei dem er den berühmten Pianisten David Helfgott oder Flake von Rammstein mit der Linse auf die spielenden Finger schaut: Der Fotograf aus Leipzig sucht das Extreme.

Unser Fotostudio in der Puusaun in Lappi
Während Christoph schon Flüge checkt und laut darüber nachdenkt, wie das überhaupt mit der Technik in der Sauna funktionieren soll, frage ich mich,… ob die zurückhaltenden Finnen da überhaupt mitmachen? „Hab’s“, unterbricht mich Christoph. „Ich kann in drei Wochen bei Euch sein.“
Drei Wochen später öffne ich die Tür zu einer meiner öffentlichen Lieblingssaunen. Die Puusaun (abgeleitet von finn. Puu = Holz) liegt am See Narvijärvi bei Lappi im Südwesten von Finnland. Ich blicke noch kurz zurück in Richtung See – pudergezuckerte Wege, ein Eisloch am Ende der Leiter des langen Stegs. Ich registriere die kleine Insel, bevor ich der wunderbaren Familie Leino beim Einschüren des massiven Narvi-Sauna-Ofens helfe. Meine Freundin Veera bereitet unterdessen im kleinen Café alles vor – mitgebracht haben wir ein Sauna-Quiz sowie Spiele und Malsachen rund um die Sauna.







Unsere Tochter hat mit Freundinnen ein großes Tervetuloa!-Plakat mit Birkenbüscheln und Sauna-Eimern gemalt. Auch wenn ich in den vergangenen zwei Wochen viel telefoniert habe, sicher konnte ich mir nicht sein, ob wirklich jemand mitmacht. Drinnen knistert das Holz und Christoph checkt seine Technik – die Kamera, der Blitz, die Objektive – alles soll sich langsam mit erwärmen. Ihm ist auf jeden Fall schon warm – in Badehose und mit Omas oller Badekappe wischt er sich immer wieder die Perlen aus dem Gesicht.
Mikä hullu idea! Wir kommen auf die Titelseite von Länsi-Suomi
Auf einmal steht die Journalistin Marita Anttila auf der Terrasse. Wir dürfen von unserer verrückten Idee erzählen, die uns am nächsten Tag sogar auf die Titelseite der Länsi-Suomi, Zeitung für den Westen Finnlands, bringen sollte. „Mikä hullu idea“, murmelt Marita. Man muss verstehen, dass Sauna in Finnland so normal wie ‚Duschen‘ ist. Und doch verstehe ich an diesem Februar-Nachmittag mehr und mehr, wie stolz die Finnen auf ihre finnische Saunakultur sind.



Die Frage nach Löyly versetzt Fotografen in eine Schockstarre
Und plötzlich geht es zu wie im Taubenschlag. Olli Järvenkylä setzt sich als Erster vor Christophs Linse. Klack, klack. Christoph schraubt an der Technik, während ich mich mit Olli unterhalte: „In der Sauna bin ich, seitdem ich ein Baby war“, erzählt mir der 23-Jährige aus Rauma. Langsam bilden sich die Perlen auf seiner Haut.Eine bange Frage unterbricht die konzentrierte Arbeit des Fotografen und versetzt Christoph in eine Schockstarre. Wann es denn endlich ‚Löyly‘ gäbe? Dass die Sauna nur mit viel Dampf so richtig finnisch ist, hatten wir kurz vergessen. Normalerweise wird von den Menschen, die auf den im Halbkreis angeordneten Sauna-Bänken der Puusaun sitzen, ständig Wasser in Richtung Holzofen geworfen. Christoph sagt noch: „Bitte noch nicht – die Technik“ – da zischt es schon auf den heißen Steinen. Ich blicke in die Runde – etwa 30 Menschen haben es sich schon auf den drei Bankreihen gemütlich gemacht. Entspannte Gesichter, Perlen auf der Haut – Löyly Pearls. Christoph checkt – die Technik hält und es klackt weiter.
Camilla Uusi-Pietilä verrät mir, dass die Sauna für sie ein Ort zum Entspannen sei. „Dazu gehört, seinen Geist eigene Wege gehen zu lassen“, sagt die 24-Jährige aus Tampere. Niko Vidqvist pflichtet bei: „Sauna ist ein Ort, wo alle Last und Stress runterfallen.“ Gelacht und geredet wird hier natürlich auch. Und je mehr Dampf aufsteigt, desto lebhafter wird es. Die Tür geht auf und zu, manche kühlen sich draußen im Eisloch (finn. avanto) ab und kommen mit einem glücklichen Lächeln zurück in die Wärme.

„Wenn wir Finnen in der Sauna über Politik in der Sauna sprechen, kann es wild werden, zum Beispiel über den Klimawandel. Zum Glück kühlen die Köpfe dann im Avanto (Eisloch im See/Meer) wieder ab.“
— Niko Vidquist
„Sauna ist für mich wie ein Bad zu nehmen“. Die fünfjährige Juliana Äärilä ist mit ihrer Mama Jemina gekommen. Sie sieht auf ihrem Foto nachdenklich, in sich ruhend aus. Wenig später hüpft sie vergnügt durch den Schnee. „Lissä Löyly“ (mehr Dampf)- ruft sie, als sie zurück in die Sauna kommt und wirft sogleich eine Kelle Wasser auf die heißen Steine.

Auch einige in Finnland lebende Ausländer haben auf den Bänken der Puusaun Platz genommen: Martin Teichmann, 40 Jahre, aus Bamberg, der mit seiner Familie derzeit in Rauma lebt, stellt vor der Linse fest: „Das Tolle an der finnischen Sauna? Die einzige Regel, die es gibt, dass es keine Regeln gibt.“


„Das Tolle an der finnischen Sauna? Die einzige Regel die es gibt, dass es keine Regeln gibt.“
— Martin Teichmann
Svetlana Buhlmann aus Stara Zagora, Bulgarien, lebt mit ihrer Familie schon seit mehreren Jahren hier im Südwesten Finnlands: „Was gibt es Besseres, als Kulturen auf eine angenehme Art und Weise miteinander in der Sauna zu verbinden?“. Die 38-Jährige genießt die wimmelige Atmosphäre und den Austausch an diesem Wintertag in der Puusaun sehr.

„Was gibt es Besseres, als Kulturen auf eine angenehme Art und Weise miteinander in der Sauna zu verbinden.“
— Svetlana Buhlmann
„In der Sauna ist niemand zu jung oder zu alt, zu arm oder zu reich, zu dick oder zu dünn… jeder ist gleich willkommen.“, sagt Jorma Leino. Der 59-Jährige hat diese Sauna schon als Kind besucht und als seine Tochter Rosanna beschlossen hat, deren neue Besitzerin zu werden, ist für Jorma ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen. Fast heilig sei den Finnen ihre Sauna. „Mein Vater hat vor dem ersten Aufguss immer das Vaterunser gebetet“, erzählt Jorma. „Die Puusaun in Lappi ist mein zweites Zuhause. Ich genieße es, dort zusammen zu sein. Niemand spielt sich als Chef auf.“ – Ein Familien-Geschäft – liebevoll geführt und mit Fans von nah und fern. Im Dampf gerät der eigentlich zurückhaltende Finne dann so richtig ins Schwärmen: „Sauna ist wie Deine Ehefrau – sie umarmt und liebt Dich!“

„In der Sauna ist niemand zu jung oder zu alt, zu arm oder zu reich, zu dick oder zu dünn… jeder ist gleich willkommen.“
— Jorma Leino
Und dass wir am Ende in den darauffolgenden Tagen in drei weiteren Saunen Menschen für das Löyly Pearls-Projektes porträtiert und spannende Geschichten und Dinge über die Sauna erfahren haben, erzähle ich Euch ein anderes Mal.
Hintergrund Löyly Pearls:
Hintergrund📝
Löyly Pearls ist ein Foto- und Geschichtenprojekt aus der Finnischen Sauna. Mit dem UNESCO-Weltkulturerbe für ihre Sauna-Kultur ausgezeichnet und mehrfach als die glücklichsten🍀 Menschen der Welt gekürt🌍: Die Finnen🇫🇮 haben es raus! Und das war doch ein prima Grund, zusammen mit ihnen und Menschen anderer Länder in der Sauna zu schwitzen😅 und in ihre Gedankenwelt abzutauchen – in die Welt des Löyly, dieses permanenten Werfens von Wasser💦 auf heiße Steine. Dabei die Menschen zu beobachten. Ihre Gesichter. Ihre Schweißperlen zu sehen. Ihren Gedanken zu lauschen. Bei mehr als 70 Grad und feuchtester Luft – unter extremen Bedingungen für Mensch und Technik📸 also.
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Perlen aus und auf der Haut. Perlen menschlicher Seelen. Darum: Löyly Pearls.
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