Wie fühlt es sich an, wenn Dein Buch ‘Sisu – Der finnische Weg zu Mut, Ausdauer und innerer Stärke‚ in sage und schreibe 20 Sprache übersetzt wurde?“ Katja Pantzar lacht herzlich und ist dann, ganz finnisch, bescheiden: Es mache sie sehr dankbar. Dieses inspirierende Buch hat das Leben vieler Menschen auf der ganzen Welt – meines eingeschlossen – verändert. Grund genug, Katja Pantzar dafür zu danken und ein wundervolles und zugleich nachdenkliches Interview zu führen. Zuerst veröffentlicht wurde es in der „Leseland Finnland“-Ausgabe der „Notizen“ (3/3021), dem Magazin der Deutsch-Finnischen Gesellschaft in Bayern e.V.
Vom Sprung in die erfrischende Ostsee, Spaghetti Bolognese & Sisu-Sauna
Bei 33 Grad in Eckental und 29 in Helsinki haben wir im virtuellen Interview zusammen…von einem Sprung in die erfrischende, 18 Grad kühle Ostsee geträumt. Katja verriet mir nicht nur, welche Tipps wir in ihrem neuen Buch „Everyday’s Sisu“ (geplante Veröffentlichung Februar 2022) erwarten dürfen, sondern auch, wie sie ihren Sohn dazu bringen konnte, ein vegetarisches Nudelgericht genauso zu mögen wie Spaghetti Bolognese. Nachdem sie in Nordamerika aufwuchs und eine Zeit lang in Großbritannien und Neuseeland lebte, wohnt Katja Pantzar nun in Helsinki. Nach anfänglicher Skepsis sei sie inzwischen eine große Freundin vom Radfahren durch Schneegestöber und Schwimmen in Eislöchern (finn. avanto). Katja Pantzar ist verheiratet und hat einen Sohn.
Warum lesen die Finnen so gerne?
Katja: „Hochwertige Bildung hat in Finnland einen großen Stellenwert. Sie ist für Groß und Klein kostenfrei zugänglich, und das Lesen und Lernen hält hier ein Leben lang an. Die Bürger sind eingeladen, aktiv mitzudenken und zu gestalten. Sie danken es mit einem großen Interesse an Literatur. Das war nicht immer so. Etwa in den 50-iger Jahren wurde den Finnen bewusst, dass wir Informationen, verschiedene Ideen und Perspektiven benötigen, um vorwärts zu kommen. Finnland war schon immer etwas isoliert. Und damit ist das Lesen auch ein Weg, im Geist zu verreisen und sich an andere Orte in der Welt zu begeben.“

Wie nutzt Du die Bibliotheken?
Katja: „In Finnland sind Bibliotheken ein essenzieller Service für die Gesellschaft. Man muss kein Geld haben, um Bücher lesen zu können, man borgt sie sich einfach. Für mein neues Buch habe ich sogar 80-90 Prozent aller englischsprachigen Quellen hier in Helsinki ausleihen können. Als ich neulich einen Drucker brauchte, hatte ich diesen Gedanken: Brauche ich wirklich ein weiteres Gerät, das ich unterhalten muss.Ich drucke in den Bibliotheken, zum Beispiel in der Oodi bzw. Rikhardinkadun Kirjasto. Ich muss dafür raus auf mein Fahrrad, habe eine Pause, ich tue etwas für die Umwelt und ich kann gleich Bücher abgeben und neue ausleihen. Diese Entscheidung hätte ich nicht getroffen, wenn ich noch in Nordamerika gelebt hätte.“
Was war Deine größte Überraschung in einer finnischen Bibliothek?
Katja: „In der Oodi Kiirjasto in Helsinki haben sie nicht nur 3D-Drucker sondern sogar Nähmaschinen. Es ist ein Ort der Zusammenkunft – eine Art Wohnzimmer als Geschenk des Finnischen Staates.“
Was bedeutet Sisu für Dich?
Katja: „Es gibt das allgemeine Verständnis, dass Sisu die einzigartige Stärke der Finnen ist, schwierigen Herausforderungen zu begegnen. Für mich ist Sisu vor allem, wie ich mit seiner Hilfe den Alltag besser bewältige – um einfach glücklicher und resistenter zu sein. Das geht los, wenn ich aufwache und die bewusste Entscheidung treffe, aufzustehen, raus an die frische Luft zu gehen, zur Ostsee zu radeln, um zu baden – gern auch im Winter im Eisloch – das ist für mich Sisu-Training. Besonders herausfordernd war die Zeit während der Pandemie. Dieses alltägliche Sisu-Training hat mir und vielen anderen dabei geholfen, diese schwierige Zeit zu meistern. Zusammengefasst: Ich muss mich um mich kümmern, um meinen Sisu/meine Kraft/meine Resilienz zu bewahren und kontinuierlich zu trainieren. Das mache ich auch durch etwas Sport auf dem Steg, bevor ich baden gehe oder wenn ich die Sauna genieße. Ich muss mich wie viele andere Menschen ebenso ‘pushen‘, aber danach bin ich immer glücklicher.“

Was sind weitere Beispiele Deines alltäglichen Sisu-Trainings?
Katja: Gerade im vergangenen Jahr hat es sich im Home Office angefühlt, dass man 24 Stunden am Tag gearbeitet hat. Sich dabei um mein mentales Wohlbefinden zu kümmern, war sehr wichtig für mich. Und auch Nein sagen gehört für mich dazu, meinen Sisu zu aktivieren und ihn gleichzeitig zu stärken. Pausen nehmen – auch von den sozialen Medien – viel draußen sein. Ich persönlich bin lieber in der Natur als im Einkaufszentrum. Ich versuche bewusst, Zeit mit Menschen zu verbringen, die etwas dafür tun, die Welt besser zu machen. Ich brauche Kritik und weiß konstruktive Meinungen zu schätzen, minimiere aber gleichzeitig die Zeit, die ich mit ausschließlich negativ denkenden Menschen verbringe oder mit denen, die andere mobben, um sich besser zu fühlen.“

Wie möchtest Du die Welt verbessern?
Katja: „Ich beschäftige mich gerade viel mit dem Thema Nachhaltigkeit. Ich versuche, meinen ‚ökologischen Fußabdruck‘ zu minimieren, etwa indem ich weniger Fleisch esse, stattdessen sehr viel regionales Obst und Gemüse. Ich versuche meinen Müll zu reduzieren und eben in der Bibliothek zu drucken statt ein eigenes Gerät zu besitzen. Was kann ich lokal bewirken? Ich schaue auf kleine alltägliche Lösungen, die am Ende auch global wirken. Das ist gelebter Sisu für mich.“

Was macht Finnland für Dich zu einem Land mit einem guten Plan?
Katja: „Ein gutes Beispiel für mich ist, dass Finnland als einziges Land der EU die Obdachlosigkeit gelöst hat, indem man hier Obdachlosen ein Dach über den Kopf gegeben hat. Ohne eine Wohnung ist es schwer, gesund zu bleiben oder einen Job zu bekommen. Vieles startet mit einem sicheren Ort zum Leben. Überhaupt glaube ich an das ‚Wir-Zusammen‘. Die Kosten für die Gesellschaft sind um einiges höher, wenn wir weiter in den Kategorien – ‚Wir und Die‘ denken. Ich möchte anderen helfen und nicht schaden.“
Hygge, Lykke, Lagom & Sisu? Worin bestehen Gemeinsamkeiten und Unterschiede?
Katja: „Das sind alles im Ausland ebenso beliebte nordische Trends, glücklicher zu sein und sich das Leben, etwa in Wollsocken, gemütlicher zu machen. Oder mit dem zu leben, was da ist. Viel in der Natur zu sein. Sisu hingegen unterstützt Menschen, mit kleinen oder großen Herausforderungen umzugehen und dadurch stärker zu werden- im Alltäglichen aber auch für die Herausforderungen der Welt.“
Hast Du ein aktuelles Beispiel für uns?
Katja: „Mein Sohn zum Beispiel liebt Spaghetti Bolognese. Ich wollte gern unseren Fleischkonsum verringern und habe alle möglichen Fleischersätze versucht. Nichts hat ihm geschmeckt. Dann habe ich gemerkt, wie sehr er Pilze mag. Spaghetti mit Pilzsoße hat er förmlich heruntergeschlungen. Das ist auch Sisu für mich – statt Ersatz zu suchen, besser zu schauen, was er mag und zudem können wir die Pilze hier auch selbst sammeln. Andere so zu akzeptieren wie sie sind und nicht beleidigt zu sein, das ist für mich auch eine Sisu-Qualität – Zuhören ist so entscheidend – für mich eine Art friedlicher Sisu.“
Wie fängt man an, seinen Sisu zu finden und ihn zu stärken?
Katja: „Einfach zuhören, sich selbst und anderen, experimentieren, kleine Schritte gehen, die am Ende Großes im eigenen Leben und im Leben anderen verändern können. Es zu versuchen und immer einen kleinen Schritt in Richtung des Lichts zu gehen.“
Nachdem ich mein eigenes Saunaglück in Finnland gefunden habe, muss ich noch fragen, was Sauna für Dich bedeutet?
Katja: „In der Welt gibt es so viel Unterschiede zwischen Arm und Reich, zwischen den Geschlechtern und wo man lebt. Im Dampf der Sauna sind alle gleich. Wir haben hier in Finnland sehr wenige V.I.P. Saunen. Es kann durchaus passieren, dass man in einer öffentlichen Sauna neben einem bekannten Politiker oder Manager sitzt. Es ist einfach egal – allen. Wenn man in die Sauna geht, gibt man alles ab – seine Titel, welches Auto man fährt oder wo man wohnt. Ich denke sowieso, dass es darum geht, Menschen zu respektieren, wie sie sind und nicht woher sie kommen. Überhaupt sollten wir auf die Gemeinsamkeiten und weniger auf die Unterschiede schauen.
Und woher kommt dieser entspannte Umgang der Finnen in der Sauna?
Jeder hat alle Arten von Körper von klein auf gesehen. Jeder Körper ist gut wie er ist. Dafür muss sich niemand schämen oder sich verstecken. Es ist ganz normal, man kann etwas anhaben in der Sauna, nackt sein oder ein Handtuch umbinden. Es ist einfach egal. Wenn ich eine Sache hier in Finnland gelernt habe, ist das die, dass es nicht um mich geht: Ich bin eher ein Erzähler von Geschichten oder wenn ich moderiere, dann möchte dem Anderen ein sicheres Gefühl geben, etwa indem ich mich bemühe, mit einer ruhigen Stimme zu sprechen. In der Sauna kommst du wie du bist und jeder akzeptiert das. Egal ob du 8 oder 80 bist, Größe 2 oder 20 trägst, in einer kleinen Wohnung oder einem großen Haus wohnst. Die Sauna gleicht wunderbar aus.“
Gerade hast Du Dein neuestes Buch fertig geschrieben? Auf was dürfen wir uns freuen?
Katja: „Mein nächstes Buch heißt „Everyday’s Sisu“ und erscheint zuerst auf Englisch.“
„Everyday Sisu“ by Katja Pantzar
Tapping into Finnish fortitude for a happier, more resilient life (voraussichtliche Veröffentlichung im Februar 2022 auf Englisch bei Penguin Random House, N.Y.)
Sisu für jeden Tag – Durch finnische Stärke zu einem glücklichen und widerstandsfähigerem Leben
Das Buch beschreibt, wie die glücklichsten Menschen der Welt mit innerer Stärke und Mut in schweren Zeiten überleben und gedeihen. Sisu ist eine stärkende Kraft und Denkweise, die Finnland trotz langer Winter, sozialer Isolation und einer Geschichte herausfordernder Zeiten zu einem der glücklichsten Länder der Welt macht.

In ‚Everyday Sisu‘ untersucht die Journalistin Katja Pantzar die einfachen Dinge, die das finnische Leben so stabil, nachhaltig und gesund für Körper und Geist machen, auch wenn das Leben anders als geplant verläuft. Mit Katja’s Buch werden können Menschen Wege entdecken, ihre geistige und körperliche Widerstandsfähigkeit zu stärken, um sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen, z.B. durch
• die Verbindung mit der Natur
• die Stärkung der Gemeinschaft
• indem sie verwenden, was sie haben
• neugestalten, was sie nicht kontrollieren können
• eine lösungsorientierte Denkweise annehmen
• Kraft im Kampf finden
Mit Erkenntnissen von finnischen Experten in den Bereichen psychische Gesundheit, Wellness, Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit wird dieser praktische und stärkende Leitfaden zu einem Fahrplan, um das zu ermöglichen, was viele nicht für möglich halten – und Hoffnung und Werkzeuge für eine bessere Zukunft zu finden.
Weiterführende Informationen / Mehr erfahren:
Journalistin & Autorin Katja Pantzar https://katjapantzar.com
Empfehlung von Herzen – keine Werbung – Vielen Dank, Liebe Katja für das lustige und inspirierende Interview!
Kiitos hauskasta ja inspiroivasta haastattelusta!
Fragen, Anregungen, Links und Kommentare sind jederzeit herzlich willkommen…
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